Wir blicken zurück und voraus, wir hören nicht auf.

Einige Zeit ist vergangen seit unseren Aktionen, mit denen wir öffentlich zeigten und einforderten: Wir sind Menschen, keine Akten! Ein Rückblick und ein Ausblick…

Starke Demo vor der Ausländerbehörde

Am 27. September 2022 zogen wir als Demonstration mit über 100 Menschen vor die Erfurter Ausländerbehörde in der Bürgermeister-Wagner-Straße 1 und danach durch die Innenstadt vor das Rathaus. Auf Bannern und Schildern stand “Hör uns zu!” und “Schulungen annehmen, Veränderungen wollen!”. Wir haben unseren Offenen Brief verlesen und haben ihn den einzigen zwei Stadträt:innen übergeben, die unserer Einladung zur Demo gefolgt waren. Menschen konnten selbst zum Mikrofon greifen, um über ihre eigenen Erfahrungen mit der Ausländerbehörde zu sprechen. Viele Probleme tauchten immer wieder auf:

  • als Migrant:in nicht ernstgenommen zu werden
  • trotz dringender Anliegen wegen ihres Aufenthalts keine Termine zu bekommen
  • gar keine oder sogar widersprüchliche Informationen von der Behörde auf Fragen zu erhalten

Auch gab es einen Bericht von einem Menschen, der aktuell von Abschiebung bedroht ist und auch schon mal abgeschoben wurde. Es ging um das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber Mitarbeiter:innen der Ausländerbehörde und um ängstigende Übergriffe durch die Polizei. Es ging darum, dass eben auch Kinder direkt betroffen sind, dass Familien mithilfe der Ausländerbehörde auseinandergerissen werden. Wir haben viele starke Worte gehört, viel Resignation, Unverständnis, Frust und viele Forderungen – oft einfach nur danach, respektvoll und fair behandelt zu werden. Doch es wurde auch klar benannt, dass all diese Probleme kein Zufall und keine Einzelfälle sind, sondern das Ergebnis von strukturellem Rassismus – und damit ist nicht gemeint, dass alle Sachbearbeiter:innen gemeine Rassist:innen sind. Wir waren laut, wir waren viele.

“Die Angstmache, die Abschiebungen, die Entmenschlichung von Migrant:innen durch die Ausländerbehörde und den deutschen Staat allgemein müssen ein Ende haben!”

Mehr hören von der Demo könnt ihr bei Radio F.R.E.I. (Beitrag vom 28.09.22):

“Wir arbeiten hier seit Jahren, engagieren uns, haben die Sprache gelernt – wir haben alles gemacht, um ein Teil der Gesellschaft zu sein, sind wir aber nicht” – auch der MDR hat berichtet (Artikel vom 28.09.22)

Symbolische Aktion vor dem Rathaus

Am Tag danach haben wir um 16 Uhr mit einer Aktion auf dem Fischmarkt erneut für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Botschaft “Wir sind Menschen, keine Akten!” haben Menschen hier nochmal unmissverständlich demonstriert, indem sie sich symbolisch auf Aktenordner stellten. Mit Schildern und durchs Mikrofon haben wir für die vorbeilaufenden Passant:innen und für die Politiker:innen des Erfurter Stadtrats betont: Über 21.000 Menschen sind momentan abhängig und betroffen von der Arbeit der Ausländerbehörde. Wir haben darauf gedrängt, dass der Stadtrat und die Stadtverwaltung Erfurts die Verantwortung gegenüber Migrant:innen, Geflüchteten, Fachkräften und internationalen Studierenden in Erfurt übernehmen sowie die Probleme bei der Ausländerbehörde anpacken muss.

Aktuelle Stunde

Im Anschluss an diese Protestaktion am Mittwoch fand im Erfurter Stadtrat eine “Aktuelle Stunde” zum Thema “Willkommenskultur in der Ausländerbehörde” statt. In einer Aktuellen Stunde können zu einem vorher beantragten Thema alle Stadtratsfunktionen Stellung beziehen und ihre Positionen dazu deutlich machen. 

Zu Beginn sprach ein Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, welche die Aktuelle Stunde beantragt hatten. Unsere Forderungen wurden vorgetragen. Es habe sich seit Jahren nichts geändert – Verantwortung dafür sei auch bei Oberbürgermeister Andreas Bausewein zu suchen, welcher sich nahezu während des gesamten Beitrags seine Brille putzte. Während der Aktuellen Stunde wurde die allen Stadträt:innen wohl bekannte Problembeschreibung wiederholt. Der Personalmangel, der nur schleppend behoben wird – so betrüge die Bearbeitungszeit des Personalamtes bei Bewerber:innen zur Zeit neun Monate. Es gab Lob dafür, dass die Ausländerbehörde ja nun endlich umziehe – wobei der neue Mietvertrag für die neue Immobilie am Kaffeetrichter zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht unterschrieben war. Die Fraktionen der CDU und der SPD beteiligten sich an der Aktuellen Stunde nicht. Die AfD beteiligte sich mit einem langen, faktisch falschen und rassistischen Beitrag, dem wir hier keinen Platz geben wollen.

Schließlich sprach Andreas Horn, der Beigeordnete für das Dezernat “Sicherheit und Umwelt” der Stadt Erfurt, das auch für die Ausländerbehörde zuständig ist. Nach ausgiebigem Lob für die Mitarbeiter:innen der Ausländerbehörde hob Horn zunächst hervor, dass es einen “stetig wachsenden Ausländeranteil” in Erfurt gebe und mittlerweile ca. 24.000 Migrant:innen in Erfurt lebten. Es folgten bekannte Entschuldigungen für den Personal- und Raummangel. Es wurde Besserung gelobt. Es wurde sich über den anstehenden Umzug gefreut, auf dass dann wirklich alles besser werde. Auf die Lebensrealität von Betroffenen wurde nicht eingegangen. Vielmehr wurden Migrant:innen eher als “Fremde” und als Belastung für die Behörde dargestellt und nicht als Menschen. Aber alle sollten sich sicher sein, dass intensiv daran gearbeitet werde, “eine Willkommensstruktur weiterhin zu etablieren”.

Danach wurde die Aktuelle Stunde beendet und die Stadtratssitzung ging wie gewohnt weiter. Es ist ermüdend. Wir fordern den Stadtrat weiter auf, sich darum zu kümmern, dass die Verwaltung die Missstände behebt!

Ausblick

Das Thema “Ausländerbehörde” musste und muss auf die Tagesordnung. Sitzungen wie diese Aktuelle Stunde sind dennoch ermüdend und frustrierend. Das Spiel, die Verantwortung von sich weg und auf andere zu schieben, zu beschwichtigen und sich auf die eigene Schulter zu klopfen, wird auf dem Rücken von Betroffenen gespielt. Wir wollen nicht, dass wir und unsere Forderungen in diesem parteipolitischen Spiel verloren gehen. Die parlamentarischen Vertreter:innen müssen sich dafür einsetzen, dass die nötige Selbstkritik vorgenommen und die nötigen Ressourcen in der Stadtverwaltung geschaffen werden. Dafür braucht es politischen Willen, kein Verantwortungsherumgeschiebe! 

Es braucht auch Informationen und Transparenz über die Situation in der Verwaltung. Deswegen blicken wir vorsichtig erwartungsvoll auf den 7. Dezember 2022. An diesem Mittwoch um 17 Uhr trifft sich im Rathaus (Raum 225, Ratssitzungssaal) der Ausschuss des Erfurter Stadtrats für “Öffentliche Ordnung, Sicherheit, Ortsteile und Ehrenamt” und spricht unter anderem über die Situation der Ausländerbehörde. Wir werden zuhören und rufen interessierte, solidarische Menschen und Menschen von der Presse auf, das auch zu tun.

Unsere Aktionen sind nur ein kleiner Schritt. Schon seit Jahren, Jahrzenten sprechen Menschen die Missstände an, kritisieren sie und kämpfen dagegen – wir erinnern uns an den Offenen Brief und die große Demonstration “Stop Making Fear!” gegen die diskriminierende Praxis der Erfurter Ausländerbehörde im Februar 2019.

Das Problem “Ausländerbehörde” besteht weiter. Wir werden es nicht vergessen, schließlich begleitet es viele von uns jeden Tag. Wir hoffen, ihr vergesst es auch nicht. Es muss vom Stadtrat wahrgenommen und angegangen werden, die strukturellen Probleme müssen aufgedeckt werden – ohne, dass wir immer und immer wieder fragen und drängen müssen. Trotzdem werden wir das tun.

Wir werden nicht aufhören. Es geht um nicht weniger, als dass migrantisches Leben anerkannt wird! Als Teil dieser Gesellschaft.

Wir sind Menschen, keine Akten.