Wie bereits in früheren Statements verschiedener Gruppierungen, wie der Wir-sind-Menschen-keine-Akten-Kampagne, kritisiert, stellen sowohl die Ausländer:innenbehörde als auch das Standesamt für Betroffene seit Jahrzehnten Herausforderungen dar. Die Ausländer:innenbehörde durch die Umsetzung allgemeiner wie auch spezieller Aufgaben (z.B. Ausstellung von Fiktionsbescheinigungen). Das Standesamt durch die Umsetzung des Einbürgerungsverfahrens. Die Probleme in beiden Ämtern anzugehen ist äußerst dringlich, da das Handeln der Behörden in diesen Aufgabenbereichen sehr existentielle Auswirkungen für die Betroffenen hat. Lange Bearbeitungszeiten, strukturelle Diskriminierungen, fehlende interkulturelle Sensibilität und fehlende Mechanismen zur Regulation des Machtgefälles (z.B. Beschwerdestellen) lösen bei vielen Betroffenen daher Existenzängste und existentielle Probleme aus.
Der Umzug der Ausländer:innen-Behörde in größere Räumlichkeiten, um der jahrelang andauernden geringen Versorgungslage durch zu wenige Sachbearbeiter:innen entgegenzuwirken, steht für dieses Jahr immer noch an.
Der Wechsel in ein anderes Gebäude ist ein erster Schritt, um endlich lang bekannte Probleme anzugehen. Das alleine reicht aber nicht aus. Natürlich müssen die ausgeschriebenen Stellen noch besetzt werden. Auch darüber hinaus gilt es, das Potential zu nutzen, um endlich Verbesserungen im Sinne der Betroffenen und nicht nur Verbesserungen im Sinne der Sachbearbeitenden zu schaffen.
Daher fordern wir:
- Verpflichtende und regelmäßig durchgeführte Weiterbildungsangebote für Sachbearbeitende beider Ämter bezüglich interkultureller Sensibilität und Perspektiven von Betroffenen sowie Grundlagenwissen zum Islam
Es gibt bereits Weiterbildungsangebote, die auf freiwilliger Basis jedoch nicht genutzt werden. Aufgrund der bisherigen Arbeitsbelastung bemängeln wir diesbezüglich eher die fehlende strukturelle Umsetzung. In einem Amt, das für Menschen geschaffen wurde, die größtenteils von Rassismus und Ausgrenzung betroffen sind, braucht es einen sensiblen Umgang. Dies gilt insbesondere für Intersektionalitäten (zusätzliche Belastungen durch Mehrfachdiskriminierungen). Dafür empfehlen wir eine Zusammenarbeit mit Interessenvertretungen von Betroffenen wie beispielsweise dem Ausländer:innen-Beirat der Stadt Erfurt.
- Förderung von Betroffenen zur Qualifizierung und Einstellung als Sachbearbeitende beider Ämter
Die momentanen Stellenauschreibungen erlauben keinen Quereinstieg, auch nicht für Menschen mit abweichenden Ausbildungen. Dies gilt es entweder zu ändern, oder aber betroffenen Menschen den Zugang zur Qualifizierung zu erleichtern. Betroffenen Menschen sollte der Zugang zu offenen Stellen erleichtert werden, damit diese ihre Perspektiven und praktische Erfahrungen zu einzelnen Abläufen einbringen können. Zudem achten Betroffene anders auf Problemstellen, was ebenso die Qualität der Arbeit erhöht. Zeitgleich ist bei diesen Maßnahmen sicherzustellen, dass die Verantwortung für das Angehen von Rassismus und Fördern von Sensibilität weiterhin bei der ganzen Behörde, allen Sachbearbeitenden und insbesondere der Leitung liegt.
- Schaffung einer Vertrauensstelle für Beschwerden und zur Schlichtung
Betroffene berichten von der Vorenthaltung ihrer Rechte sowie Diskriminierung durch Sachbearbeitende. Durch das Machtgefälle zwischen Zivilbürger:innen und Behördenmitarbeitenden lassen sich diese Missstände ohne externe Dritte meist nicht beheben. Zudem greift bei Behörden das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht, sodass der Schutz vor Diskriminierung gegenwärtig nicht gewährleistet ist. Daher ist es unerlässlich, eine separate Stelle zu schaffen, die sich der Beschwerden und Bedürfnisse annimmt, unabhängig berät und einen akzeptablen Lösungsweg mitgestaltet und begleitet.
- Endlich (!) eine Umsetzung der Website und anderen Dokumenten in mehreren Sprachen
Bis heute wurde die immer wieder von Betroffenen vorgebrachte Forderung nicht umgesetzt, dass Dokumente, Hinweise und Zugangshinweise in mehreren Sprachen vorliegen müssen. Menschen, die auf die Arbeit der Behörde angewiesen sind, haben durch die Einsprachigkeit der Website und der Erklärmaterialien wenn überhaupt nur eine erschwerten Zugang zu Terminen und zur angemessenen Vorbereitung auf Termine.
- Erschwernisse beim Einbürgerungsverfahren abbauen
Das Einbürgerungsverfahren beim Standesamt dauert in Erfurt teils mehrere Jahre. Betroffene müssen auf ihr verpflichtend durchzuführendes Beratungsgespräch bis zu drei Jahre warten und können erst nach dessen Durchführung einen Einbürgerungsantrag stellen. Die Beratung hat innerhalb dieser Zeit längst über Dritte stattgefunden. Die vom Standesamt durchgeführte Beratung ist damit faktisch obsolet und sollte abgeschafft werden, damit betroffene Menschen zeitnah eingebürgert werden können.
Unterzeichnet von (alphabetische Reihenfolge):
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
MigraNetz Thüringen e.V.
MOVE e.V.
Offene Arbeit des Evangelischen Kirchenkreises Erfurt
Seebrücke Erfurt
Sprachcafé Erfurt
Syrischer Kulturverein e.V.
Wir sind Menschen, keine Akten.